Aus der Grauzone der Sichtigkeit (Auszug)

Nacht430

Das vermalen der schwarzen und weißen Töne in einen Mischton von Grau erfolgt mit dem Wegrücken der all-farbenen Weißfarbe in den Griff der Unfarbe Schwarz. Dies ist kein transitiver Vorgang, d.h. ein Wegbewegen von einer Stelle zur anderen, vom Richtigen zum Falschen, wie das schwarz-weiße Denken mit seinem moralischen Impetus anbietet, sondern stellt eine Bereitschaft dar, bezeugt eine Intention, eine Selbstbestimmtheit, das intermediäre des radikalen Umschlags auf sich zu nehmen. Dieses Denken waltet im aufspüren der Nähe in der Ferne beim Grau des Sfumatos oder beim Malen lunatischer Momente mit ihren Unwegbarkeiten und empfindlichen Balancen von erhaltenden und unheimlichen Tiefen. Die Passage des Augenlichts bei Grau ist gering, die Bildtiefe bleibt spekulativ. Das Filtern der Farbstoffe, ihre Reflexion leuchtet hier durch und die weiße Komponente auf. Farbbeimischungen oder Untermalungen erzeugen jene Spur, die als Seinsvollzug der Farben zum inkarnierten Licht fungieren soll.. Ein solches malerischen Denken hat weder eine Transpare, eine Ein-und Aussicht, noch eine innere Perspektivität, die sich dem Kommenden oder Nächsten zuwendet, im Visier. Eben dieser Mangel an Sein und Mit-sein, dieser Entzug der Zwischenleiblichkeit einer Intersubjektivität erzeugt einen Hunger nach wiedererkennenden und sehendem Sehen, eine Grauzone der Sichtigkeit. Dies zielt auf den narzisstischen Wunsch nach der Totalität und dem Höchsten/Absoluten der dichten Leere/Fülle mit Hilfe der Monochromie, aber auch nach dem bildlich Gesprochenen in der Polymorphie des Phantasmatischen. Die Farbe Grau summiert die Potenzen der Malerei, die Farbe als Form und die Metamorphose als Prozessualität ins Bild zu stellen. Es ist aber auch eine Möglichkeit, mit der farblichen Intensität aufzuräumen und eine farbene Gegenwart zu zeitigen.
Im Folgenden möchte ich mit der beschreibenden Auslegung des Bildes <NACHT> der Künstlerin Maren Krusche das Herausgearbeitete zeigen. Das Bild fügt sich ein in frühere Werkgruppen der Künstlerin mit Bildern in Grau gehalten und in eine Reihe von Ölbildern mit Tieren. Die vorangehenden Graubilder mit geometrischer Abstraktion arbeiten die Farbe Grau als Körper und Raumfarbe polyperspektivisch durch. In den figurativen Bildern taucht der Tapir als ein sachlich gehaltenes Tiermotiv auch mit einer modifizierten Serialität auf. Durch subtile Binnenvarianten von scheinbar gleichen Motiven kann die Künstlerin mit Esprit mit der kleinen Differenz die Divergenz zeigen.

Das <NACHT-BILD> besteht aus drei 75×70 großen Tafeln, die ein Gefolge bilden, wodurch ein innerer Zeitbezug zur Abfolge und Dauer besteht. Aus dem Schaulager der Farben wählte die Künstlerin samtene Grautöne, die bei den weißen Vierecken in ein leichtes Rosa und innerhalb der nachtblauen Kreise ins Bläuliche neigen. Nur die Kreise sind graphisch und weisen auf das Aktuelle, auf das Jetzt hin. Der Rest ist ein malerisches Raumphantom. Nach den Grautönen zu urteilen ist diese Nacht für eine Ewigkeit gedacht. Sie entzieht sich jedweder Beurteilbarkeit und Veränderung der Tageszeitenfolge und hellt mit keiner Morgenröte. Das Wahrnehmen dieser Nacht des Dazwischen erfolgt nicht durch die Illusion, sondern durch eine Fiktion.

Vor dem Bild stehend gerät man in einen holistischen, still-wattigen Raum, in dem sich etwas Raumzeitliches ereignet. Die bis in Finsternis gehende dichte Dunkelheit des Bildraumes wurde an manchen Stellen feinst mit getöntem Weiß aufgelöst. So kann sich an eminenten Stellen ein zart flutendes Licht als wolkige Strömung sichtbar machen. Viereckige Tafelflächen mit distorsiver Geometrie dienen dem äußeren Leuchtlicht als Reflexionsgrund. Sie scheinen sich in der Dunkelheit zu spiegeln. Das Weiß in ihnen fungiert nicht mehr als Spiel mit der Färbung, sondern zeigt eine helle, lichte Farbe. Das Helle kann sogar wie ein hochgehaltenes Schild die Dunkelheit des Binnenraumes schützen. So werden das Helle, das aufleuchtet, das Dunkele, das lässt, das Finstere, das birgt, graugetönt aus Farbe zur Form und bildhaltig. Der gebildete Grauraum kann in einem sporadisch aufleuchtenden Licht seine unfassliche Dunkelheit darbieten und in seiner Finsternis eine Dunkellichthaltigkeit geheimnisvoll bergen. Dieses diffizile Lichtgefüge einer dunklen Welt ist bewegt, es spielt mit Klarsicht- und Stumpfgrau.

In ihr taucht geisterhaft der Kopf eines Tapir auf, dessen Körper in der Finsternis nur kontemplativ zu erahnen ist. Er schleicht witternd ohne jede Hast aus seiner Behausung, der Finsternis heraus, wodurch der Raumsinn in das Selbstverständnis einer exotischen Nacht wechselt. Das Nachtgetier wagt es, der Finsternis und dem amorphen Raumkonglomerat zu entkommen. Der Kopf im Körperlicht, der Körper in Lichtleere getaucht. Ohne die Mischung von Leuchtigkeit und Finsternis, ohne Körper und Schlagschatten bildet sich um das Tier eine sanfte Strenge von Lumen, ein Leuchtlicht ohne die inneren
Zwänge einer malerischen Virtuosität, nur mit den Mitteln des empfindsamen Setzens von Leuchtgrau, als Allegorie des lebenden Lichtes, das Dinge zu seiner Sache macht und einverleibt. Die Nacht als exotischer Ereignisraum der Geschehnisse des Lichts, ursprünglich ein romantisches Sujet und Beute esoterischer Ikonik wird hier als bilddichte Animation dargeboten, die am Ende (der Tage und Nächte) den morphologischen Zauber mit dem Nachtgetier zerplatzen lässt. Die Bildfolge endet nämlich mit einem Zauberstab, einem Wunderding, Motiv auch anderer Bilder, der sich aus der Helle in das Obskure dreht. Oder umgekehrt?

Ferenc Jádi (2013)

Erschienen im Zusammenhang mit der Ausstellung – Hauptsache Grau – 2013 im Mies van der Rohe Haus Berlin.